Ars Audiendi ~ Musikhören als schöpferische und heilende Kunst
Die Heilkunst des Hörens
Fortsetzung Beethoven (2) Zur Person Beethovens
Der Philosoph
Beethoven war gebildet. Mit 19 Jahren schrieb er sich in Bonn zum Studium der Philosophie und
Literatur ein. Er las gern und viel, vor allem Goethe, Schiller, Shakespeare und Homer. Zahlreiche Gedichte vertonte er. Zu einer Vertonung von Goethes “Faust” kam er nicht mehr. In Gesprächen zitierte er die Genannten oft und
gerne. Kant berührte ihn ebenso, und aus seinen Aufzeichnungen ist ersichtlich, dass er sich mit indischer Philosophie eingehend befasste. Beethovens Erkenntnis mündet in dem Satz: “Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit
und Philosophie.”* Diese gern zur Dekoration musikalischer Ergüsse zitierten Worte haben mehr Tiefe und Durchschlagskraft, als man ihnen auf den ersten Blick zutraut.
Schopenhauer hatte die Vorstufe dazu formuliert,
als er sagte “Musik ist die wahre Philosophie” (in: “Die Welt als Wille und Vorstellung”, 3. Buch). Beethoven ging noch einen Schritt weiter: Musik sei höhere Offenbarung als die Philosophie. Er
sagte unter anderem auch, Musik sei “der einzige unverkörperte Eingang in eine höhere Welt des Wissens” und daß Musik “Ahnung und Inspiration himmlischer Wissenschaften” gebe. Was das konkret bedeutet, können wir unmittelbar erfahren, wenn wir Beethovens Musik meditieren und mit seinen Tönen ganz eins werden.
Das Genie: musikalischer Revolutionär
Beethoven vollendet mit seiner kühnen Entwicklung der musikalischen Themen die Formgesetze der Klassik. Gleichzeitig überwindet er sie und vollbringt damit den
Übergang zur Romantik. Die Formen werden freier und durchmischen sich, die Inhalte immer spannungsgeladener, die Aussagen deutlicher. Seine Musik wird für den Menschen zur unmittelbaren Berührung durch den Geist. Beethoven hören bedeutet, sich bis in Wesenstiefen
erschüttern lassen....
Beethovens Werke haben in der Musikgeschichte größere Wirkung ausgeübt als jede andere Musik, und kein bedeutender Komponist des 19. Jahrhunderts konnte sich seinem unmittelbaren Einfluß entziehen. Es gibt nur Komponisten vor und nach Beethoven. -
Wie war das möglich? Erst durch die erzwungene Beschränkung auf das Genie “Nur in deiner Kunst leben!” gelangte Beethoven an die Fundamente der Musik,
und gleichzeitig - dies ist das Einzigartige dieses Komponisten - an die Fundamente seines Wesens als Mensch.
In Homers Odysseus findet er sich wieder, er notiert ins Tagebuch: “Kennt ihr
einen / der euch der Unglückseligste / aller Sterblichen scheinet / ich bin ihm gleich zu achten / an Elend.” An seinen Freund Franz Wegeler schreibt er: “Ich
will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht.” Solchen Zerreißproben war Beethovens Seele ausgesetzt. Das Wunder ist, dass sie standhielt. Nach eigenen Aussagen war es die Musik selbst,
die ihn am Leben erhielt und ihm die Kraft einflößte, das Energiefeld seines Lebens aufgespannt zu halten. “Zusammengeraffter, energischer, inniger habe ich noch keinen Künstler gesehen”, schilderte ihn Goethe.
Am Rande sei erwähnt, dass Beethoven ein genialer Klavierspieler war. Seine Improvisationen hinterließen gewaltigen Eindruck. Von seinem Spiel meinte ein
Musikkritiker, er habe seit Mozart nichts Vergleichbares mehr gehört. - Beethovens Kompositionsweise bestand in unablässigem Ringen mit Melodien
und musikalischen Einfällen, die er auf Zettel oder in Hefte wie magische Zeichen nur so hinwarf. Er behielt in seinem Geist den roten Faden und formte nach und nach, in langem Ringen, die Musik, die dann immer wie aus einem Guß
wirkt. Er arbeitete meist an mehreren Werken gleichzeitig.
Der Naturliebende
Beethovens große Liebe galt der Natur. Immer war er draußen anzutreffen, bei
Wind und Wetter, meist summend und brummend, in seine innere tönende Welt entrückt. Die Natur gab ihm viel. “Allmächtiger im Walde! Ich bin selig, glücklich im Wald, jeder Baum spricht durch dich!” Fast jeden Sommer entfloh
er dem Treiben Wiens und ließ sich in einem kleinen Dorf nieder (Gegend um Baden, Mödling, Heiligenstadt). Sein Traum war “Ein Bauerngut, dann entfliehst du deinem Elend!”. In der freien Natur empfing er Inspiration. “Mein
Reich ist in der Luft. Wie der Wind, so wirbeln die Töne, so wirbelts auch in meiner Seele.” “Schon graut der Morgen, sehen Sie nicht den rötlichen
Streifen am Horizont?... Hören Sie die Akkorde im Osten? Ich muß hinaus, Ideen schöpfen!.....”
Das schönste Denkmal dieser Naturliebe schuf er mit seiner Sechsten Symphonie F-Dur op.68, der “Pastorale” (Die Ländliche). Beethoven gab den einzelnen Sätzen beschreibende Worte, vom “Erwachen heiterer Empfindungen bei der
Ankunft auf dem Lande” bis zum heftig herniederprasselnden “Gewitter” und anschließenden “frohen und dankbaren Gefühlen nach dem Sturm”. Ihm war
wichtig, daß diese Worte nicht als äußerliches Programm missverstanden werden. Er notierte 1808 “Pastoralsinfonie [ist] keine Malerei, sondern worin die Empfindungen ausgedrückt sind, welche der Genuß des Landes im
Menschen hervorbringt, wobei einige Gefühle des Landlebens geschildert werden”.
Der Humanist (Der Menschenliebende)
und Beethovens Adel
“Wohltun wo man kann! Freiheit über alles lieben! Wahrheit nie, selbst am Throne nicht, verleugnen!” Die Ideale der französischen Revolution
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit lebten in Beethovens Seele. “Mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an für das zarte Gefühl des Wohlwollens; selbst große Handlungen zu
verrichten, dazu war ich immer aufgelegt”, ist im Heiligenstädter Testament zu lesen. Er hielt sich (wie bereits Mozart) in seinem Wesen für adelig und damit dem Adel ebenbürtig. “Ich
kenne keine andern Vorzüge des Menschen als diejenigen, welche ihn zu den bessern Menschen zählen machen. Wo ich diese finde, dort ist meine Heimat.” An Fürst Lichnowsky, der ihn gekränkt hatte, schreibt Beethoven wütend: “Fürst! Was Sie
sind, sind Sie durch Zufall und Geburt. Was ich bin, bin ich durch mich!”
Auch wenn seine Klavierschülerinnen meist aus dem Adel stammten und sein Bekanntenkreis vorwiegend aus gebildeten Adeligen bestand, betonte er doch,
dass “wahre Freundschaft nur beruhen kann auf der Verbindung ähnlicher Naturen.” Die geistige Natur des Menschen war Beethovens Heimat und machte seinen königlichen Adel aus.
Die köstliche Begegnung mit Goethe im Sommer 1812 in Teplitz gibt davon Zeugnis: Auf einem Spaziergang kommen den beiden die Kaiserliche Familie
samt Hofstaat entgegen. Goethe zieht, sich verbeugend, den Hut und tritt zur Seite, Beethoven “geht mit untergeschlagenen Armen mitten zwischen den Herzogen durch, rückt nur ein wenig den Hut, während diese sich von beiden Seiten
teilten, um ihm Platz zu machen, und ihn alle freundschaftlich grüßten. Jenseits blieb er stehen und wartete auf Goethe. Sagt dann »Auf Euch habe ich gewartet, weil ich Euch ehre und achte, wie Ihr es verdient. Jenen aber habt
Ihr zuviel Ehre angetan«.”
Geheimnis seines Schöpfertums
Beethoven lebte im totalen Energiefeld des Schöpfertums. “Es heißt übrigens bei mir »Nulla dies sine linea«, kein Tag ohne Notenlinie; und lasse ich die
Muse schlafen, so geschieht es nur, damit sie desto kräftiger erwache.”(1826) - “Vieles ist auf Erden zu tun, tue es bald!” (1814) Alle Zerstreuungen der
Gesellschaft, für die er eigentlich sehr empfänglich war, wurden ihm durch seine zunehmende Taubheit unzugänglich. “Du darfst nur Mensch sein für andere” im Sinne von: wahrhaftig ein Mensch werden (1812). Wäre dies nicht so gewesen,
hätte Beethoven gewiss mehr als nur eine Oper geschrieben, denn er suchte ständig nach geeigneten Stoffen für Opern. Doch dann hätte seine Musik nicht den inneren Menschen entwickelt, sondern Äußerlichkeiten. “Du mußt dir alles
selbst aus dir heraus - erschaffen.” (1810)
Das Titanenhafte - Beethoven thronend auf einem besiegten Löwen, wie er auf romantischen Abbildungen zu sehen ist - hat hier seinen Ursprung: Überwindung der Zerstreuung und Ablenkung, Hinwendung zur inneren Notwendigkeit (Schiller!), die in seinen Tönen Gestalt annahm. “Erst übe Wunder, willst du sie enthüllen; nur so kannst du dein Dasein ganz erfüllen.”
Auf seinem Schreibtisch stand ein gerahmtes Täfelchen, mit folgenden Worten, in seiner Handschrift :
“ICH BIN was da ist”
“ICH BIN alles, was ist, was war und was sein wird.
Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.”
“ER IST einzig von IHM SELBST, und diesem EINZIGEN
sind alle Dinge ihr Dasein schuldig.”
Diese mystischen Sätze über das Wesen Gottes, den Namen Gottes, hat er sich ständig vor Augen gehalten. Zu Bettina von Brentano sagte er einmal “Ich weiß,
daß Gott mir näher ist als anderen meiner Zunft. Ich verkehre mit ihm ohne Furcht.” (1810) - In der Tiefe seiner Seele entwickelte er den göttlichen Funken
des Menschenwesens weiter zu der lichtvollen Offenbarung, was der Mensch im Grunde seines Wesens ist: Schöpfer seiner eigenen Wirklichkeit.
Beethovens Musik ist ein Motor der Selbstwerdung.
“Ist der echte, wahre Mensch ein Sklave seiner Umgebung, oder frei?” (1815) Wieviel von dieser königlichen Freiheit des Menschen in seinen Tönen steckt, drückte Beethoven in dem Wort aus: “Wem meine Musik sich verständlich
macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die anderen schleppen!”
* Zum Beethoven-Zitat “Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie”:
Es stammt von Bettina Brentano, aus ihrem Buch “Goethes Briefwechsel mit einem Kinde”(gibt es als Nachdruck im Buchhandel, u.a. bei tredition), worin sie vorwiegend ihre Briefe und Begegnungen mit Goethe schildert, aber auch mit
Beethoven. Wir können davon ausgehen, dass diese Worte nicht wörtlich von Beethoven ausgesprochen wurden, sondern eine Art Zusammenfassung durch Bettina Brentano darstellen. Nach Kenntnis von Beethovens Briefen und anderer
(belegter) überlieferter Aussagen Beethovens entspricht dieser Satz meiner Ansicht nach voll und ganz Beethovens Denken.
Es ist jedoch üblich, dass von manchen Wissenschaftlern alles angezweifelt wird, bis es materiell bewiesen ist.
Teil 1 Beethovens Leben
Teil 2 Fortsetzung: Beethoven 2 (“Beethovens Person”)
Teil 3 Fortsetzung: Beethoven 3 (“Beethovens schöpferisches Lebensfeld”)
Teil 4 Fortsetzung: Sein Unglück
Klassik-Tipp: Empfehlungsliste (Discographie) Beethoven
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Ars Audiendi, die Heilkunst des Hörens. Bewusstes Musikhören ist ein initiatischer Weg zum Wesen, zur Essenz.
Der initiatische Weg erweitert Wahrnehmung und Bewusstsein. Er führt sowohl zum transzendenten Wesen der Musik, als auch zum eigenen lichtvollen Wesenskern. Große, inspirierte Musik ist eine geistige Matrix, die Informationen für die neue Zeit vermittelt.